Analysen

EURo/US-Dollar: Euro leidet noch unter weniger aktiver EZB

Die hohe Inflation wirkt derzeit US-Dollar-positiv bzw. Euro-negativ. Weil der Markt annimmt, die Fed reagiere aktiver darauf als die EZB. Das dürfte auch noch eine Weile so bleiben, weshalb wir unsere Euro/US-Dollar-Prognose gesenkt haben. Denn der Einschätzung der geldpolitischen Reaktionsfunktionen stimmen wir zu. Allerdings, wir erwarten nach wie vor, dass 2022 die Inflation deutlich stärker fällt als vom Markt angenommen. Wird das dem Markt klar, muss er die Fed-Erwartungen nach hinten verschieben. Der Euro-Nachteil, der aus der weniger aktiven EZB resultiert, wird dann nicht mehr relevant, und der Euro/US-Dollar-Wechselkurs sollte sich teilweise erholen, wenn auch weniger stark, als wir zuvor erwartet haben.

Inflationsschub: Wie reagieren die Zentralbanken?
Am Devisenmarkt geht es derzeit vor allem um ein Thema: Wie reagieren die Zentralbanken auf den deutlichen Inflationsschub, den wir derzeit fast überall auf der Welt sehen? Die Haltungen dazu sind sehr unterschiedlich:

  • Erste Zentralbanken, allen voran die Norges Bank und die Reserve Bank of New Zealand haben bereits ihre Zinsen angehoben. Dort verharren die Leitzinsen schon nicht mehr auf coronabedingten Extremniveaus. Und diese Zentralbanken deuteten an, dass weitere Zinserhöhungen folgen dürften.
  • Für die US-Notenbank Fed wird dieser Schritt für 2022 erwartet. Auch diese Erwartung wurde von der Fed geschürt. Zuletzt hatte bereits die Hälfte der Mitglieder des Offenmarktausschusses der Fed prognostiziert, sie würden schon im kommenden Jahr den Lift-Off durchführen.
  • Und selbst für die EZB, von der viele noch vor kurzem erwartet hatten, dass sie ihre Negativzinspolitik bis in alle Ewigkeit fortsetzen würde, preist der Markt derzeit Zinserhöhungen für 2022 ein und einen positiven Einlagensatz (den De-facto-Leitzins) ab 2025.

 

Freilich kann der Euro von dieser neuen EZB-Erwartung nicht profitieren. Im Gegenteil: Im Vergleich zu dem, was von der Fed und von anderen Zentralbanken erwartet wird, wäre selbst solch eine relativ schnelle Normalisierung der EZB-Zinsen spät bzw. langsam. Späte und langsame Zinserhöhungen werden der EZB vom Devisenmarkt aber nicht mehr so schnell verziehen wie noch vor kurzem. Noch Anfang September ging der Markt davon aus, dass die Inflation im Euroraum im kommenden Jahr wieder deutlich unter das EZB-Ziel fällt. Diese Sicht hat der Markt aufgegeben. Er erwartet mehr Inflation. Und mehr erwartete Inflation, die nur unterproportional mit höheren Zinsen kompensiert wird, ist schlecht für eine Währung am Devisenmarkt. Weil ihr Kaufkraftverlust nicht durch entsprechend höhere Zinsen ausgeglichen wird.

Da wundert es nicht, dass der Euro im G10-Universum seit Anfang September zusammen mit dem japanischen Yen die rote Laterne der schlechtesten Performance hält. Und es liegt nahe anzunehmen, dass zumindest keine wesentliche Erholung der Euro-Wechselkurse ansteht. Aus der EZB sind derzeit vor allem beschwichtigende Töne vernehmbar, die darauf hinweisen, dass ein Lift-Off im kommenden Jahr nicht mit deren »Forward Guidance« vereinbar sei. Schliesslich betont die EZB stets, die erste Zinserhöhung stehe erst nach Ende ihrer regulären Wertpapierkäufe an. Dass die bis Ende 2022 komplett zurückgefahren werden, erscheint unwahrscheinlich. Zwar war EZB-Präsidentin Christine Lagarde in ihren jüngsten Äußerungen nicht eindeutig. Sie hat die Markterwartungen bezüglich eines frühen EZB-Lift-Off nicht in Bausch und Bogen verdammt. Aber wenn auch im Euroraum im kommenden Jahr der Inflationsdruck zumindest für eine ganze Weile wieder nachlässt, dürfte die EZB nicht mehr an einen schnellen Lift-Off denken.

Wie realistisch ist das Inflationsbild des Marktes?
Wie lange die Euroschwäche anhält und wie weit sie sich fortsetzt, ist somit vor allem davon abhängig, ob das Inflationsbild des Marktes zutrifft. Würde zum Beispiel in den USA die Inflation schneller und vor allem tiefer fallen, als derzeit vom Markt erwartet wird, käme die Erwartung rascher Fed-Zinserhöhungen wieder ins Wanken. Dann wäre es schnell vorbei mit der US-Dollar-Stärke.

Für solch ein Szenario spricht, dass eine wesentliche Ursache für die inflationstreibenden Angebotsengpässe in den USA bereits deutlich nachlässt: die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern. Deren Nachfrage war in Coronazeiten sprunghaft angestiegen. Weil die US-Haushalte weniger Dienstleistungen konsumieren, haben sie nicht nur mehr gespart, sondern auch mehr dauerhafte Konsumgüter nachgefragt. Keine Lieferkette dieser Welt war für den beispiellosen Anstieg dieser Nachfrage gerüstet. Die Folge sind Lieferengpässe allerseits. Nicht nur für diese Güter selbst, sondern auch für deren Vor- und Vor-Vor-Produkte. Nun fällt diese Endnachfrage zumindest in den USA bereits wieder. Und sie könnte noch deutlich weiter fallen. Denn die Eigenschaft dauerhafter Konsumgüter ist ja gerade, dass sie weit über ihren Anschaffungszeitpunkt hinaus Nutzen stiften. Die dauerhaften Güter, die in den vergangenen Monaten angeschafft wurden, müssen so schnell nicht noch einmal nachgefragt werden. Es sollte nicht überraschen, wenn sich Lieferengpässe wieder rasch auflösen, ja stellenweise in ein Überangebot umschlagen.

Wir werden es wohl noch nicht in den US-Inflationszahlen in den nächsten Monaten sehen. Aber irgendwann in nächster Zeit könnte die Inflation rascher fallen, als vom Markt angenommen wird. Und dann ginge es wieder zurück mit Zinserhöhungserwartungen und Wechselkursen: US-Dollar-Schwäche und Euro-Erholung wären dann angesagt.

Arbeitsmarkt: Risiko für das Disinflationsszenario
Der jüngste US-Arbeitsmarktbericht zeigte erneut, dass die Partizipationsrate (der Anteil der US-Amerikaner im erwerbsfähigen Alter, die am Arbeitsmarkt teilnehmen) keine Anstalten macht, von derzeit niedrigen Niveaus (61,6 Prozent) auf Vor-Corona-Niveaus (um 63,4 Prozent) zurückzukehren. Hier scheint ein dauerhafter Wandel stattgefunden zu haben. Und dieses Phänomen ist keineswegs auf die USA oder auf entwickelte Industrienationen beschränkt. So wird zum Beispiel aus Vietnam berichtet, dass Industriebeschäftigte massenweise in die ländlichen Regionen ihrer Familien zurückkehren und der Exportindustrie zumindest auf absehbare Zeit verloren zu gehen scheinen.

Es scheint, als hätte die Coronapandemie allerorts das Arbeitsangebot reduziert. Ich will nicht den Hobby-Soziologen spielen und über mögliche Erklärungsansätze spekulieren. Wichtig ist an dieser Stelle lediglich: Auch das muss kein Effekt sein, der für alle Ewigkeiten anhält. Aber er könnte weitaus persistenter sein als die bisherige exorbitante Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern. In den USA sehen wir die Wirkungen ganz besonders bei der Zahl der unbesetzten Stellen. Sie ist in den vergangenen Monaten auf beispiellose Höchststände geklettert.

Tabelle 1: Wechselkursprognose Euro/US-Dollar (Monatsendstände)

Alt

Neu

Dezember 2021

1,20

1,15

März 2022

1,22

1,16

Juni 2022

1,24

1,17

September 2022

1,25

1,19

Dezember 2022

1,26

1,20

Stand: 8. Oktober 2021; Quelle: Commerzbank Research
Prognosen sind kein Indikator für die künftige Entwicklung.

Eine hohe Zahl offener Stellen und ein reduziertes Arbeitsangebot sind der ideale Nährboden für Inflation. Lässt die inflationstreibende Nachfrage allerdings weiter nach und lösen sich Angebotsengpässe auf, besteht selbst bei geringerem Arbeitskräfteangebot kaum Anlass für Lohn-Preis-Spiralen. Dann wird sich im verarbeitenden Gewerbe auch die Nachfrage nach Arbeitskräften reduzieren. Und dann wird es nichts mit inflationären Lohn-Preis-Spiralen.

Das heisst: Zwar scheint der Zustand des US-Arbeitsmarkts derzeit die US-Dollar-Stärke zu unterstützen. Bricht allerdings der ungewöhnliche Nachfrage-Impuls weiter weg, fehlt eine für dieses Szenario notwendige Bedingung. So schnell wird das wohl nicht passieren. Die Inflation ist ein relativ träger Prozess. Und daher ist zunächst mit einer weiteren US-Dollar-Stärke und Euroschwäche zu rechnen. Erst für 2022 erwarten wir eine Gegenbewegung.