Analysen

Eurozone: Aufbruchstimmung zum Indexjubiläum

Vor einem Vierteljahrhundert ist der EURO STOXX 50-Index an den Start gegangen. Die Benchmark mit den 50 grössten Börsenunternehmen der Eurozone hat ihr Gesicht im Laufe der Zeit deutlich verändert. Zuletzt profitierte sie vom Bedeutungsgewinn des Technologiesektors.

Seit dem 9. Februar ist »Titanic« wieder in den Kinos zu sehen. Das Medienunternehmen Disney hat ein Remake des Blockbusters mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet als Jack und Rose veröffentlicht. Anlass für das Comeback des Historiendramas ist dessen 25. Jubiläum. 1998 kam nicht nur einer der erfolgreichsten Filme aller Zeit auf die Leinwand. Fast zeitgleich fiel vor einem Vierteljahrhundert der Startschuss für einen der heute wohl bekanntesten Börsengradmesser der Welt. Der 26. Februar 1998 ist das Lancierungsdatum des EURO STOXX 50-Index. Anlass für die Einführung war die Etablierung der Eurozone im Jahr darauf. Bis heute bringt der Index die 50 grössten auf dem Gebiet der Währungsunion beheimateten Börsenunternehmen zusammen.

Durchaus vergleichbar mit der »Titanic« hat der EURO STOXX 50 in seiner Geschichte so manchen Eisberg passiert oder gar touchiert. Anders als beim Superdampfer konnte der Untergang der Eurozone jedoch immer wieder verhindert werden. Kurz vor knapp warf Mario Draghi im Sommer 2012 einen Rettungsring. An einer Investmentkonferenz in London gab der damalige EZB-Präsident sein legendäres »Whatever it takes«-Statement ab. Die Europäische Zentralbank werde im Rahmen ihres Mandats alles tun, um den Euro zu erhalten, erklärte der Italiener. »Und glauben Sie mir, es wird genug sein«, schob er nach. Diese Ansage gilt als ein Wendepunkt der zu dieser Zeit wütenden Euroschuldenkrise.

Scharfer Kurswechsel
Draghi ging als Mann der aggressiven Zinssenkungen und gigantischen Anleihekaufprogramme in die Geschichtsbücher ein. Dagegen musste seine Nachfolgerin Christine Lagarde – nach einigem Zögern – einen scharfen Kurswechsel einläuten. Womit wir inmitten des aktuellen Börsengeschehens der Eurozone angekommen sind. Wie in vielen anderen Wirtschaftsräumen treibt das Inflationsgespenst auf dem alten Kontinent sein Unwesen. Vor einem Jahr stand der EZB-Leitsatz noch bei null. Nachdem der Rat die Zinsen Anfang Februar zum fünften Mal nacheinander erhöht hat, beträgt die Schlüsselrate mittlerweile 3,0 Prozent. Es gilt als ausgemachte Sache, dass es weiter nach oben geht. »Angesichts des zugrunde liegenden Inflationsdrucks haben wir vor, die Zinssätze auf unserer nächsten Sitzung im März um weitere 50 Basispunkte zu erhöhen, und wir werden dann den weiteren Kurs unserer Geldpolitik bewerten«, erklärte Lagarde Mitte Februar vor dem Europaparlament in Strassburg.

In der Tat bewegt sich der Preisauftrieb in der Eurozone weit über dem von der EZB angestrebten 2-Prozent-Niveau. Im Januar 2023 übertrafen die Konsumentenpreise den Wert des Vorjahresmonats um 8,5 Prozent. Allerdings hatten Analysten mit einer Teuerung von 8,9 Prozent gerechnet. Die Inflation schwächte sich Anfang des Jahres also stärker ab als erwartet. Noch im Oktober 2022 waren die Verbraucherpreise in der Eurozone in einem bis dato nicht bekannten Ausmass gestiegen. Die Statistikbehörde Eurostat meldete eine Inflationsrate von 10,6 Prozent. Der nachlassende Preisdruck weckt an der Börse die Fantasie, dass die EZB schon bald weniger rigoros vorgehen könnte.

Starker Jahresauftakt
Den allgemeinen Stimmungsumschwung der Investoren beflügelte zu Beginn des Jahres auch noch Peking mit einer überraschenden Abkehr von der Null-Covid-Politik. Die im Reich der Mitte stark engagierten europäischen Unternehmen erhoffen sich von den Wiedereröffnungen eine Geschäftsbelebung. Entsprechend stark ist der EURO STOXX 50 in das Jahr gestartet. In den ersten sieben Handelswochen ging es für die Benchmark um knapp 13 Prozent nach oben. Damit nahm der Index Tuchfühlung zum horizontalen Widerstand im Bereich von 4.300/4.400 Punkten auf (siehe Grafik 1). Hier hatte die Auswahl im Herbst 2021 das höchste Niveau seit Anfang 2008 erreicht. Der jüngste Rebound ist deutlich kräftiger ausgefallen als die Erholung an der Wall Street. Der S&P 500 kam 2023 bis dato »nur« um rund 6 Prozent voran. Im langfristigen Vergleich haben die Large Caps aus den USA jedoch die Nase weiterhin vorn.

Grafik 1: V-förmige Erholung

EURO STOXX 50-Index

Verschobene Kräfteverhältnisse
Dass der EURO STOXX 50 so gut aus den Startlöchern gekommen ist, hat auch etwas mit seiner Zusammensetzung zu tun. Die zu Beginn des Börsenjahres besonders gefragten Technologie- und Industriewerte geben den Ton an. Zusammen steuern diese beiden Sektoren mehr als ein Viertel zu diesem Börsengradmesser bei. Profitiert hat der Index auch von der ungebrochenen Lust auf kostspieliges Shopping. Der weltgrösste Luxusgüterkonzern LVMH ist nach dem Chipausrüster ASML Holding der zweitgrösste Einzelwert und macht damit die Konsumgüterindustrie zu einem sehr bedeutenden Sektor (siehe Grafik 2). Vor respektive während der eingangs skizzierten Euroschuldenkrise sahen die Kräfteverhältnisse im EURO STOXX 50 noch ganz anders aus. Im Sommer 2010 lag der Anteil der Technologieaktien bei weniger als 4 Prozent. Zu dieser Zeit gaben die Finanzwerte eindeutig den Ton an. Die Gewichtung der Banken betrug gut ein Fünftel, Versicherungsaktien waren mit rund 9 Prozent vertreten. Eine ähnlich hohe Bedeutung hatten Versorger und Telekomunternehmen – diese beiden Sektoren sind mittlerweile aus den Topbranchen verschwunden.

Grafik 2: Dominierende Zykliker

Top-10-Sektoren im EURO STOXX 50-Index (Gewichtung in Prozent)

Markanter Bewertungsabschlag
Den Vergleich mit den Grössen der Wall Street braucht der EURO STOXX 50 momentan auch in puncto Bewertung nicht zu scheuen. Laut FactSet beläuft sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf weniger als 14 (siehe Grafik 3). Für den S&P 500 taxiert der Datendienstleister die viel beachtete Kennziffer auf 18. Zwar ist der Bewertungsaufschlag für die US-Large Caps wegen einer häufig deutlich höheren Gewinndynamik durchaus nichts Ungewöhnliches. Zurzeit müssen sich die Europäer allerdings auch hier nicht verstecken. Im Schnitt trauen Analysten den 50 Unternehmen im Leitindex für 2023 ein Gewinnwachstum von gut 2 Prozent zu. Beim S&P 500 geht der Konsens nur von einer kleinen Steigerung um 0,3 Prozent aus.

Grafik 3: Unter dem Mittelwert

Kurs-Gewinn-Verhältnis EURO STOXX 50 (Forward 12 Monate)

Nicht nur der Gewinnmotor läuft trotz eines krisenhaften Umfelds bei den europäischen Grosskonzernen ordentlich. Auch die kommende Dividendensaison sollte üppig ausfallen. Zwar ist die Dividendenrendite im Zuge des jüngsten Kursanstieges geschrumpft. Für den Zwölfmonatszeitraum beträgt die Verzinsung der Ausschüttungen im EURO STOXX 50 aber immer noch deutlich mehr als 3 Prozent (siehe Grafik 4). Zum Vergleich: Die als Benchmark für die Obligationenmärkte der Eurozone geltende 10-jährige deutsche Bundesanleihe wirft trotz des EZB-Kursschwenks rund 60 Basispunkte weniger ab.

Grafik 4: Ordentliche Verzinsung

Dividendenrendite EURO STOXX 50 (Trailing 12 Monate)

Frei von Risiken ist das Jubiläumsjahr des EURO STOXX 50-Index aber noch lange nicht. Eine entscheidende Rolle spielen die weitere Entwicklung der Inflation sowie die daran gekoppelte Geldpolitik. Ausserdem muss sich zeigen, ob die Wiedereröffnungen in China tatsächlich für einen ökonomischen Schub sorgen oder sich doch wieder Rezessionssorgen breitmachen. Letztlich gilt an der Börse wie im Kino: Für Spannung ist jederzeit gesorgt.